Gewächshäuser - Haus H
In Haus H gelangen wir auf unserem Rundgang zunächst zu den sukkulenten (= saftspeichernden) Pflanzen der Alten Welt. Sukkulenten aus dem südlichen und östlichen Afrika nehmen den größten Raum ein. Madagaskar und die Kanarischen Inseln sind weitere geographische Gruppen. Viele Besucher sind überrascht, wenn sie erfahren, daß diese „Kakteenlandschaft" in Wirklichkeit gar nicht aus Kakteen besteht, sondern aus Gewächsen ganz anderer Familien. Das Mittelbeet mit Pflanzen aus den Halbwüsten und Trockensavannen Ost- und Südafrikas wird dominiert von kandelaberförmigen Wolfsmilchgewächsen (Euphorbia), welche nahezu perfekte Doppelgänger der großen Kandelaberkakteen Mexikos und Südamerikas darstellen. Sie sind aber nicht mit den Kakteen verwandt und unterscheiden sich klar Blütenbau.
Die großen, fleischigen Rosetten der Aloen (Liliaceae), die blattsukkulenten Sträucher der Gattungen Crassula, Cotyledon, Tylecodon und Kalanchoe (Dickblattgewächse Crassulaceae), kleinstrauchige Mittagsblumengewächsen (Aizoaceae) und Rebengewächse (Vitaceae) mit dicken Stämmen (Gattung Cyphostemma) oder auch lianenartig klimmenden, blatt- oder stammsukkulenten Sprossen (Cissus) zeigen schon einen Teil der Vielfalt der Blatt- und Stammsukkulenten.
An der Gattung Euphorbia lassen sich sehr gut verschiedenste Formen der Stammsukkulenz von Bäumen über Rutensträucher bis zu Kugelformen zeigen. Die Schwalbenwurz- oder Fliegenblumengewächse sind mit Arten der Gattungen Stapelia und Orbea vertreten, deren fünfzipflige, oft rötlichbraune Blüten nach Aas riechen.
Eigene Flächen im vorderen Teil des Hauses sind den kakteenähnlichen, konvergent entstandenen Pflanzengestalten Madagaskars gewidmet. Im Sommer krönen weiße Blüten die dunkelgrünen Blattschöpfe der dornigen, flaschenbaumartigen Pachypodien (Apocynaceae), welche auch auf manchem Fensterbrett als Zimmerpflanze gedeihen, dort aber nur ausnahmsweise zur Blüte gelangen. Den Kakteen schon etwas näher verwandt sind die Didiereaceen, eine auf Madagaskar beschränkte Pflanzenfamilie, mit eigentümlicher Kurztrieb-Beblätterung und Kurztrieb-Bedornung. Die stattlichen, säulenförmigen Exemplare von Didierea und Alluaudia ragen zum Teil schon weit unter die Kuppel des Hauses. Baumförmige Wolfsmilch-Arten aus den Trockenwäldern mit dornenlosen, runden oder abgeflachten Trieben bilden hier auch schon fast ein Dickicht.
Eine Familie mit sonst fast ausschließlich krautigen Rankepflanzen hat in Madagaskar sukkulente Vertreter, und zwar sowohl Stamm- als auch Blattsukkulenten. Die Gattung Folotsia mit dicken runden Trieben und Xerosicyos danguyi mit ihren an meterlangen, locker mit vollkommen kreisrunden, dicken, sukkulenten Blättern und mit Ranken besetzten Trieben erklimmen immer wieder das Dach des Hauses.
Von den Kanarischen Inseln sind manchen Reisenden die Kanarische Wolfsmilch, eine stammlose Kandelabereuphorbie, die dekorativen Dickblattgewächse der Gattung Aeonium und ein stammsukkulentes Kreuzkraut, Senecio kleinia (= Kleinia neriifolia) bekannt. In Afrika und Arabien hat die Gattung Senecio noch eine Reihe bemerkenswerter Sukkulenten hervorgebracht. Das perlenkettenartig mit erbsengroßen, kugeligen Blättern versehene Senecio rowleyanus aus Südafrika und das einer Gurke zum Verwechseln ähnliche stammsukkulente Senecio deflersii aus Arabien(in der Konvergenzen-Vitrine auf der Galerie im anschließenden Haus I) stellen erstaunliche Extremformen dar.
In der Vitrine auf der Galerie in Haus H wachsen neben anderen, kleineren Sukkulenten Afrikas und Madagaskars einige Mimikry-Formen von Dickblatt-, Wolfsmilch- und Portulakgewächsen aus Südafrika. Eine spezielle Anpassung stellen die „Fensterpflanzen" dar. Bei den Gattungen Fenestraria und Lithops (Mittagsblumengewächse) sind Blattrosette bzw. Blattpaar in die Erde verlagert. Das Sonnenlicht erreicht die grünen unterirdischen Teile der Blätter durch das chlorophyllfreie, durchscheinende Blattgewebe der gestutzten Blattenden. Als lebende Steine werden auch einige andere Gattungen von Mittagsblumengewächsen bezeichnet. Bei Pleiospilos sind es mehrere steinähnliche, graugrüne, kantige bis rundliche Blätter, welche reichlich Wasser speichern, und bei Conophytum wird pro Saison nur ein Blattpaar ausgebildet, wobei die zwei Blätter jedes Jahr durch neue ersetzt werden. Bei einigen Arten sind sie zu einem nahezu kugelförmigen Gebilde verwachsen. Weitere Beispiele finden sich im Welwitschia-Annex (bei Haus A).
Einen anderen Weg zum Überdauern von Trockenzeiten haben gewisse Lianen eingeschlagen, welche aus einer massiven Stammknolle nur unter günstigen Bedingungen kurzlebige dünne Laubtriebe entwickeln. Testudinaria elephantipes hat eine verholzte, einem Schildkrötenpanzer ähnliche Knolle und sieht nach dem Absterben der windenähnlichen Triebe (in der Heimat während der sommerlichen Trockenzeit) wie tot aus.
B. Leuenberger